Anne Clark & Martyn Bates
Interview with Anne Clark (Zillo, 1998)

Daß ihre neue Major-Firma Sony ihre radikal ruhige Umsetzung von Gedichten des Österreichischen Lyrikers Rainer Maria Rilke nicht veröffentlichen wollte, hat Anne Clark offenbar stark zugesetzt. Bei einem kleinen Label hat die Pop-Poetin das in Zusammenarbeit mit den ex-Eyeless-In-Gaza-Musikern Martyn Bates und Peter Becker entstandene Werk Just After Sunset nun dennoch herausgebracht und zieht ein bitteres Fazit: “Ich habe einen Punkt erreicht, an dem ich mit der Wegwerf-Philosophie der kommerziellen Musik-Industrie einfach nicht mehr arbeiten kann.”

Ihr Ärger hat durchaus Berechtigung: Die konsequent akustische Vertonung des einflußreichen deutschsprachigen Lyrikers ist Clark und Bates – wie man es von ihnen nicht anders gewohnt ist – bestens gelungen: ein schwermütiges, anspruchsvolles Meisterwerk, in dem die beiden befreundeten Musiker seit 1996 aufgegangen sind. Und so steht das bedrückend klingende Just After Sunset den elegischen Eyeless-In-Gaza-Werken und Anne Clarks 94er-Akustik-Live-Album Psychometry weitaus näher als Anne Clarks sonst üblicher, ausgewogener Mixtur aus Electro, Poesie, Dance. Pop und Akustik: nicht ohne Grund ist Martyn Bates’ Name auf dem Cover erstmals gleichberechtigt abgebildet. Ärger mit der geschäftlichen Seite ihrer Musik hatte Anne Clark seit ihrem 95er-Studio-Album To Love and Be Loved schon genug: Sie verließ ihr langjähriges SPV-label, unterschried bei Metronome, die wenig später die Segel streichen mußten, woraufhin Anne Clark ihr Remix-Album Wordprocessing (u.a. mit Hardfloor-, Sven Vaeth- und Juno-Reactor-Versionen) 1997 bei Sony herausbrachte.

Als Anne Clark ihren musikalischen Langzeit-Partner Bates mit ihrer Idee der Rilke-Vertonungen vertraut machte, wußte sie, daß dieser der ideale Ansprechpartner dafür war: Bereits 1994 hatte Martyn Bates – von der Öffentlichkeit kaum bemerkt – mit der Unterstützung Peter Beckers 27 Gedichte des Ulysses-Autors James Joyce auf Cd akustisch umgesetzt. Und so begann Anne Clark, sich in die Texte des 1926 an Leukämie verstorbenen Rilkes einzulesen und mit Bates durch Rilkes “Bilder und Klänge” jedem der favorisierten Texte eine eigene Klangwelt zuzuordnen.

“Für mich ist Rilkes Poesie absolut musikalisch,” schwärmt die sensible Lyrikerin. “Nur Dylan Thomas hat dieselbe Musikalität in seiner Poesie, die ich auch bei Rilke gefühlt habe.” Das ebenfalls von Clark und Bates bearbeite Gedicht ‘An Die Musik’ unterstreicht ihre These. “Du Sprache, wo Sprachen enden,” definierte Rilke hier plastisch seine Faszination für Klänge.

“Die Kraft in seinen Gedichten ist für mich ihre Universalität und Zeitlosigkeit. Er vermittelt eine Schmerzlichkeit und Tiefe von Gefühlen und besitzt die Fähigkeit, Gefühle und Erfahrung in Sprache zu übertragen, weitgreifender als alle, oder vielleicht sollte ich sagen als die meisten Schriftsteller, die ich bisher in meinem Leben gelesen habe.”

Rilke, der aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammte, entschied sich schon früh zu “reinem Dichterdasein”, reiste nach Nordafrika, Ägypten, Spanien und Italien, bis er sich 1921 im Turm eines Schweizer Schlosses in die Abgeschiedenheit zurückzog. “Schreiben war ein essentieller Teil seines Lebens,” zeigt Anne Clark Parallelen zwischen ihr und Rilke auf. “Auch durch seine Suche nach Spiritualität durch Natur habe ich mich ihm sehr nahe gefühlt.”

Nach dem gewohnt vielseitigen letzten Studio-Album To Love and Be Loved hat sich Anne Clark nun wieder recht intensiv auf Akustik-Gitarren, Piano, Flöten, Geigen und Celli eingelassen. Doch das rechnet sie vielmehr Rilkes Texten und ihrer komplizierten musikalischen Persönlichkeit zu, als einer eigenen Entwicklung.

“Es ist doch so,” erklärte sie, “daß die meisten Leute durch verschiedene ‘Stimmungen’ gehen. Als Hörer möchtest du manchmal laute, energetische Töne. Zu anderer Zeit möchtest du etwas Weicheres, Reflektierenderes.”

Und letzteres bestimmte nun einmal ihre jüngste Vergangenheit. Um auf ihr Publikum irgendwelche Rücksichten zu nehmen, fühlte sich Anne Clark von jeher zu stark als Künstlerin, was ihr Publikum ironischerweise stets zu honorieren wußte. Kaum eine Vokalistin hat wie Anne Clark, die auch auf Just After Sunset weiterhin lediglich kraftvoll rezitiert, trotz wechselnder Musiker so kontinuierlich Platten veröffentlicht, die sich zwischen abgesteckten Polen bewegen.

Nachdem Anne Clark schon mit 16 Jahren ihre Schulzeit für beendet erklärt hatte, veröffentlichte sie 1982 ihr erstes Mini-Album The Sitting Room. Mit den Singles Our Darkness und Sleeper in Metropolis wuchs in den folgenden Jahren um die Fanzine-Schreiberin und Theater-Betreuerin ein derartiger Kult-Status, daß er bis in die Gegenwart hallt: ihre frühen pionierhaften Dance-Tracks gehören noch heute zum DJ-Standard-Repertoire: sowohl in ”Indie-” als auch in Techno-Clubs.

Anne Clark allerdings scheint so etwas ziemlich egal zu sein. Nachdem sie Rilkes Werk über 70 Jahre nach dessen Tod nun Referenz erwiesen hat, strebt sie weiterhin nach Höherem als Chart-Entries und MTV-Awards. “Es wäre das wirklich Bedeutendste, was meine Arbeit bewirken könntee,” so sagt sie, “wenn in 50 Jahren irgendein Maler von dem, was ich getan habe, inspiriert werden würde.”